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Paul, der Labbi-Mix (18)

paul18

Alles ist endlich. So auch das Leben und damit die Geschichte von Paul.

Es war das Wochenende vor Beginn des neuen Schuljahres, als Sabine bemerkte, dass etwas nicht stimmte. Paul war apathisch und kümmerte sich kaum noch um das, was um ihn herum geschah. An dem Samstag dachte sie noch, dass er einfach einen schlechten Tag hatte. Nichtmal Paulas Versuche, ihn zu einem Spiel zu bewegen beantwortete er wie sonst auf seine harte aber herzliche Art. Und als er dann am Abend sein Futter nicht mehr anrührte, war klar, dass es etwas ernsthaftes sein musste.

Dr. Müller in der Tierklinik stellte dann fest, dass es ein Tumor war, der Paul zu schaffen machte. Kaum ein Hund stirbt heute noch an Altersschwäche. Ähnlich wie beim Menschen stellt der Krebs auch bei unseren Hunden eine sehr häufige Todesursache dar.

Die Reaktion des Tierarztes auf Michaels Frage, was man denn nun für Paul tun könne, hatte das Ehepaar geschockt. Dr. Müller erwiderte gerade heraus, dass er den Hund sofort einschläfern würde, um so zu verhindern, dass Paul sich unnötig quält. Dieser Satz traf sie wie ein Schlag. Und sie brauchten einen Moment, um die Worte mit Inhalt zu füllen. Einschläfern.

Sicherlich, sie wussten, dass Paul nicht unsterblich war. Und sie hatten auch bemerkt, dass er in den letzten Monaten doch sehr ruhig und behäbig geworden war. Doch das es jetzt so schnell gehen würde? Das konnte doch nicht sein.

Sabine stemmte sich gegen den Gedanken, Paul hier für immer zurückzulassen. Sie wollte sich wenigstens von ihm verabschieden. Nur noch einen Abend, von ihr aus auch nur ein paar Stunden, aber auf keinen Fall wollte sie ihr Paulchen jetzt einfach so aufgeben.

Michael hatte einen Kloß im Hals und rang nach Worten. „Sabine“ fing er an, aber er brachte den Satz nicht zu Ende. Er wusste, dass der Tierarzt recht hatte und es Paul gegenüber unfair wäre, wenn er sich quälen müsste, nur weil die Familie ihn nicht gehen lassen wollte. Er wusste, dass es ihre Pflicht war, ihrem Freund, ihrem Paul, auch in diesen Moment zur Seite zu stehen und zum Wohle des Hundes zu entscheiden.

Paul sah müde aus. Seine bernsteinfarbenen Augen hatten in den Jahren an Glanz verloren und wurden etwas trübe. Er lag auf dem Behandlungstisch und guckte Sabine traurig an. „Sei nicht traurig“ schien er ihr zu sagen wollen und legte seine riesige Tatze auf ihre Hand. Sabine begann zu Weinen. Sie schämte sich dafür, sie wollte jetzt stark sein. Ein letztes Mal stark für Paulchen. Doch sie konnte nicht anders. Das tat so unglaublich weh. Niemals hätte Sabine geahnt, dass der Abschied von einem Tier so dermaßen schmerzhaft wäre. Mit Paul würde mehr als nur ein Hund gehen. Mit Paul ginge ein Freund, ein Begleiter durch viele Jahre und vor allem jemand, den sie liebte, wenn es auch noch so verrückt klingen würde.

Sie dachte an die vergangenen Jahre zurück und an den Abend, an dem sie Paul auf der Autobahnraststätte in Empfang genommen hatte. Dieser kleine Plüschbär mit dem melancholischen Blick. Sie dachte daran, wie Marie und später als Babies mit Paul auf dem Sofa lagen und schliefen. Sie dachte an Heinz und welche Angst sie damals gehabt hatte, den Hund zu verlieren, als Paul gebissen hatte. Und sie dachte an Herrn Gutmensch und wie Paul ihn damals an der Bank am alten Wasserwerk über den Haufen gerannt hatte. Sie dachte an die vielen Momente, in denen Paul sie aufgemuntert hatte. Sie dachte an den See, an dem Paul Maya und sie Erika kennengelernt hatte. Und sie dachte an Tag, an dem Paul mit der Hofhündin des Bulliverkäufers verschwunden war. Sie dachte an all die Lebensereignisse, die Paul mit ihr geteilt hatte. Und sie dachte an Paula, seine Tochter.

Michael rief Gertie an, es gehe Paul nicht gut, sie sollte mit den Kindern kommen, damit die Familie sich von ihrem großen Knuddelbären verabschieden könne.

Felix weinte und schrie, dass Paul nicht sterben dürfte, Marie schwieg. Gertie stand mit Paula an der Leine da und die junge Hündin schien zu ahnen, was passierte. Die sonst so quirlige Paula saß da wie angewurzelt und war still. Als Gertie mit ihr in das Behandlungszimmer kam, kletterte Paula mit ihren Vorderpfoten auf den Tisch und leckte Paul durchs Gesicht. Menschen vermenschlichen Tiere, das war Sabine klar. Trotzdem konnte sie sich des Gefühls nicht erwehren, dass Paula ihrem Vater gerade Lebewohl gesagt hatte.

Ein französischer Philosoph hat mal gesagt, dass Hunde deshalb nur ein kurzes Leben haben, weil ihre Menschen ansonsten an der Trauer zu Grunde gehen würden. So ein Blödsinn, dachte Sabine. Sie würde alles dafür geben, wenn sie nur noch ein paar Wochen mehr mit ihrem Paul gehabt hätte. In diesem Moment dachte sie an jedes Mal, an dem sie keine Zeit für Paul gehabt hatte, an die Momente, in denen er zu kurz kam und an das eine Mal, an dem sie Paul beschimpft hatte, weil die Vase runtergefallen war. Hinterher stellte sich heraus, dass es Marie gewesen war, die zu schnell um die Ecke gerannt war und Erbstück umgeworfen hatte. Das tat ihr gerade jetzt so unendlich leid.

Warum hatte sie sich nicht mehr Zeit genommen, für Paul, für die gemeinsamen Spaziergänge und die Momente, in denen Paul sich einfach an sie gekuschelt hatte. All diese Zeit würde ihr jetzt fehlen. Dieser Hund würde ihr fehlen. Paul.

Es war ein Sonntag abend, an dem Paul schliesslich für immer einschlief. Es war Spätsommer, es war noch warm und die Sonne ging langsam unter, als Michael und Sabine einen Baum an der Stelle im Garten pflanzten, wo sie Paul illegalerweise begraben hatten.

Der Baum, der hätte Paul gefallen. Er hätte ihn angepinkelt, da waren sich alle einig.

– Ende –

7 Kommentare
  1. Angela
    Angela sagte:

    Ich musste zwischendurch aufhören zu lesen, da ich genau die selben Gefühle hatte wie Sabine, bevor ich sie gelesen habe. Ich heule jetzt noch und vermisse meinen Knuddelbär Max so sehr. Und durch die diverse Erpressung meiner Allergiebehafteten Mutter, werde ich wohl keine Paula haben dürfen, ohne für immer mit ihr zu brechen.

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