Paul, der Labbi-Mix (5)
Heinz war ein Handwerker, wie er im Buche steht. Einer, der anpacken konnte, erdig war und stolz auf sein kleines Unternehmen. Die Gründung seiner Firma, die sich auf Renovierungen und Innenausbau konzentrierte, war vor 10 Jahren aus der Not heraus geboren. Mittlerweile hatte er zwei Arbeiter angestellt und konnte ganz gut mit dem auskommen, was die Firma so abwarf.
Er nahm einen kräftigen Schluck Kaffee und schaute auf die Uhr. Viertelnachsieben. Um Acht Uhr hatte er den Termin bei diesem jungen Paar. Tapezieren, Streichen, Fussboden verlegen. Nichts besonderes. Heinz zog sich seine Arbeitsjacke an und stieg in seinen Bulli. Er war etwas früh dran und würde die Zeit vertrödeln, in dem er sich beim Bäcker noch ein Brötchen und die Tageszeitung holen würde. Außerdem dachte er sich, besser zu früh als zu spät.
„Oh, ist es schon spät?“ dachte Sabine, als sie im Halbschlaf auf den Wecker schaute. Schlagartig saß sie aufrecht im Bett. „Mist, wir haben verschlafen.“ Sofort weckte sie Michael, der sich verwundert die Augen rieb. Zwanzigvoracht, bald käme der Handwerker. Ausgerechnet heute, das letzte Mal, als sie verschlafen hatte, hatte sie noch studiert und abends zuvor ein bisschen zu viel getrunken.
Schnell zog Sabine sich ein paar Sachen über, die in greifbarer Nähe waren, wusch sich kurz das Gesicht und schnappte sich Paul, der noch dösend auf dem Sofa lag und sie gelangweilt ansah. In zehn Minuten kommt der Handwerker und Paul soll doch im Schlafzimmer bleiben. Also, schnell vor die Tür, der Morgengassigang würde heute sehr kurz ausfallen müssen.
Heinz war derweil froh, dass er direkt vor der Tür des Mehrfamilienhauses einen Parkplatz gefunden hatte. Er kramte seinen Werkzeugkoffer aus dem Bulli. „Niemals mit leeren Händen eine Treppe gehen“ waren die Worte seines Meisters gewesen, als er noch in der Ausbildung war. Er musste schmunzeln.
Es gibt Zufälle im Leben, die könnte man als Schicksal bezeichnen. Wäre Heinz an dem Morgen nicht so früh dran gewesen, wäre er beim Bäcker nicht sofort bedient worden, hätte auf den Straßen mehr Verkehr geherrscht und hätte er nicht einen Parkplatz direkt vorm Haus gefunden, dann stünde er nicht genau in diesem Moment vor der Haustür und klingelte.
Hätte Sabine nicht verschlafen, hätte sie sich nicht das Gesicht gewaschen, ein paar Klamotten übergezogen, die gerade in Reichweite waren und hätte sie Paul noch im Flur angeleint, dann wäre sie nicht genau in diesem Moment mit ihrem Hund im Treppenhaus unterwegs.
Und hätte Michael nicht direkt im Flur gestanden, als es klingelte, wäre er etwas wacher und aufnahmefähiger gewesen und einen Blick auf den verwaisten Korb von Paul geworfen, dann hätte er bestimmt nicht den Türsummer betätigt.
Später würde Sabine sagen, dass alles so schnell gegangen ist, dass sie erst später realisiert hatte, was da eigentlich passiert ist. Heinz würde sagen, dass er eigentlich keine Angst vor Hunden hätte, schliesslich wären viele seiner Kunden Hundebesitzer und man müsse sich damit arrangieren. In dem Moment aber, da hatter er Angst. Angst um sein Leben. Wie es jetzt weiter gehen würde? Erstmal abwarten, was die Ärzte sagen und hoffen, dass die Versicherung für den Verdienstausfall aufkommen würde. Der Hund könne ja nichts dafür, war halt dummer Zufall.
Der Nachbar, der durch den Lärm aufgeschreckt wurde und das Szenario beobachtete, der würde sagen, dass er es immer gewusst hätte. Das es unverantwortlich ist, dass eine solche Bestie in dem doch sonst so friedlichen Haus leben würde. Schliesslich wohnten hier auch alte Leute und Kinder. Und überhaupt, die Frau erwartet doch selber Nachwuchs. Das geht so nicht. Die anderen Nachbarn, denen er in den folgenden Tagen von Paul berichtete, sahen das ähnlich. So geht das nicht, der Hund stellt eine Gefahr für die Menschen hier dar. Man muss mal doch was tun.
Am Abend des selben Tages hatte Esperanza sehr viel zu tun. Sie kam mit ihrer Arbeit nicht voran. Es mussten passende Transportboxen gefunden, aufgebaut und so stabil wie möglich im Mietbus festgzurrt werden, sie musste Impfausweise überprüfen und ggf. nachstempeln, jeder Hund benötigte ein Halsband und so weiter und so fort.
Spätestens um Zwölf Uhr wollten die Tierschützer aus Deutschland losfahren. Vor ihnen lagen knapp Zweitausend Kilometer. Laut Wetter-App würde sich die Hitze heute in Grenzen halten, der Plan war, möglichst schnell durchzufahren. Am nächsten Vormittag warteten die Adoptanten an der Autobahnraststätte auf ihre Schützlinge. Die Route würde sie die Autopista 7 bis Barcelona, dann durch Frankreich durch, über den Grenzübergang bei Mühlhausen bis in den Süden Deutschlands. Sie würden sich mit dem Schlafen abwechseln, möglichst wenig Pausen machen und größere Raststätten nur zum Tanken anfahren.
Nun war es schon Viertelnachzwölf und endlich konnten die zweiundzwanzig Hunde verladen werden. Der Laderaum war für die Boxen zu eng, so dass diese gestapelt werden mussten. Für die Welpen musste noch eine „Leihmutter“ gefunden werden, da sie noch keine zwölf Wochen alt waren und deshalb nicht ohne Muttertier reisen durften. Mangels passender Hündin wurde kurzerhand ein Rüde, der eine gewisse Ähnlichkeit zu den Kleinen aufwies, zum Muttertier ernannt.
Mit einer Dreiviertelstunde Verspätung startete der Transport in Richtung besseres Leben. Das laute Gebell vestummte nach wenigen Minuten. Nur ein Welpe kläffte in einer Tour weiter. Die Tierschützerinnen mussten schmunzeln. „Einer ist immer dabei, der keine Ruhe gibt.“
Schon nach einer Stunde musste der Transport eine Pause einlegen. Die Wetterinformationen aus dem Smartphone stimmten nicht mit der Realität überein. Es war sehr heiß, die Mittagssonne strahlte erbarmungslos auf den Sprinter und so mussten die beiden Damen anhalten, die Hunde mit frischen Wasser versorgen und den Innenraum lüften. Die meisten Hunde waren wohlauf, lediglich den Welpen machte die Hitze zu schaffen und sie lagen apathisch hecheln in ihrer Box.
Die Tierschützerinnen überlegten, was zu tun sei. Umdrehen unmöglich, immerhin warteten die neuen Besitzer bereits in einigen Stunden auf ihre Hunde. So tränkten sie einige Handtücher in kaltes Wasser, um den noch jungen Hunden etwas Kühlung zu verschaffen. „Wir müssen schnell aus der Hitze raus.“ Nun war es Halb Drei, noch mindestens vier Stunden, bis die Temperaturen sinken würden.
Als wenn es eine kühlende Wirkung hätte und die Temperaturen dadurch schneller erträglich würden, trat die Fahrerin aufs Gas. Schnell nach Deutschland.
Zwei Tage später wurde eine süddeutsche Regionalzeitung über eine gemeinse Aktion des Veterinär- und Ordnungsamtes berichten. „Illegaler Welpentransport gestoppt“ würde die lauten und der Redakteur würde beschreiben, dass zwei Frauen mittleren Alters ohne Genehmigung Hunde zum Verkauf nach Deutschland transportiert hatten. Die Tiere wären in einem schlechten Gesundheitszustand gewesen und es gäbe Ungereimtheiten bei den Unterlagen. Der Zugriff erfolgte auf einer Autobahnraststätte. Die Hunde seien beschlagnahmt worden und befänden sich nun im örtlichen Tierheim, in dem sich „die Mitarbeiter um die teilweise kranken und verstörten Hunde kümmern“ würden, wie es hieß.
Jemand hatte die Behörden informiert. Gegen die beiden Damen wurde Anzeige wegen Verstosses gegen gleich mehrerer Paragraphen des Tierschutzgesetzes erstattet und sie müssten jetzt mit einer Geldstrafe von bis zu 25.000 € oder sogar einer Haftstrafe von bis zu drei Jahren rechnen. Auch von den Adoptanten wurden die Personalien festgestellt. Später würde eine sagen, dass sie sich wie eine Kriminelle vorgekommen sei.
Wie Kriminelle kamen sich auch Sabine und Michael vor. In den Tagen, nachdem Paul den Handwerker Heinz gebissen hatte, spürten sie, dass sie nicht mehr willkommen waren. Die Nachbarn sahen die beiden verständnislos an und sie merkten förmlich, wie hinter ihnen getuschelt wurde. Sabine hatte Heinz im Krankenhaus besucht, glücklicherweise hatte dieser seinen Humor nicht verloren und sagte zu, dass er von einer Anzeige absehen würde.
Sein Arm war eingegipst und pochte ganz schön. Das Krankenhaus nervte ihn gewaltig, den ganzen Tag nur rumsitzen, zwei Infusionen, den Rest der Zeit verbrachte er damit, fernzusehen oder in der Cafeteria rumzusitzen und eine nach der anderen zu rauchen. Die Ärzte hatten ihm gesagt, dass er am Wochenende vielleicht nach Hause könne. Das Infektionsrisiko sei bei Hundebissen nunmal enorm, deshalb müsse er noch etwas ausharren. Ungefär vier Wochen würde er nicht arbeiten können. Schöne Scheisse, zumal seine Arbeitsunfähigkeitsversicherung erst ab dem 40. Tag zahlt.
„Ach komm schon, das kriegen wir irgend auch so gedeichselt.“ Heinz‘ Schwager sah das anders. „Du hast gar keine andere Wahl, was willst du denn der Versicherung erzählen? Das Du in das Maul von dem Hund gefallen bist? Du hast mindestens vier Wochen kein Einkommen. Wenn Du nicht pleite gehen möchtest, musst du das zur Anzeige bringen und Schadensersatz einfordern.“ Heinz leuchtete das ein, aber er hatte ein ungutes Gefühl dabei. Die junge Frau hatte sich vielmals entschuldigt und so schlimm war die Verletzung jetzt auch nicht. Sicher, sie hätte besser aufpassen müssen. Aber jeder macht mal was falsch.
Außerdem waren ihm diese ganzen Behörden zu wider. Seitdem er mit dem Bauamt Ärger wegen seiner Lagerhalle gehabt hatte, konnte er diese Sesselpubser nicht mehr ausstehen. Aber sein Schwager hatte recht, wenn er nicht pleite gehen wollte, musste er was unternehmen.
(Fortsetzung folgt)
Hier geht es zu Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4 und Teil 6.
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