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Paul, der Labbi-Mix (20)

Nach Kast gibt es vier Phasen der Trauer.

1. Nicht Wahrhaben wollen

Das darf nicht sein. Sabine wollte nicht wahrhaben, dass Paul nicht mehr lebte. Nein, sie wollte es nicht akzeptieren. Das war nur ein schlechter Albtraum, jeden Moment würde Paul in der Tür stehen, sich schütteln und etwas Sabber auf der Tapete verteilen. Michael stand der Situation wie regungslos gegen. Er fühlte sich wie unter Schock, so machtlos. Felix hatte die ersten beiden Nächte nur geweint und der Familienvater saß am Bett seines Sohnes und konnte dem Kind nicht erklären, warum Paul gestorben war. Marie ertrug die Situation von allen am tapfersten, zumindest äußerlich. Das lag sicherlich auch daran, dass sie nun in einem Alter war, in dem sie unbedingt erwachsen wirken wollte.

2. Aufbrechende Emotionen

Das Paula sich Pauls geliebtes Kauseil einverleibt und schliesslich kaputtgemacht hatte, löste in Sabine eine Stinkwut aus. Pauls Kauseil, das einzige Spielzeug, dass er wirklich gemocht hatte und in all den Jahren nicht kaputt gemacht hatte. Sie scheuchte die Hündin fluchend weg und rettete die verbliebenen Überreste des Lieblingsspielzeugs des Verstorbenen. Als Paula sie dann wie entschuldigend anschaute, brach Sabine in Tränen aus. Sie konnte nicht verstehen, wie Paul einfach so sterben konnte. An einem Tumor, warum hatte den niemand bemerkt? Sie war regelmäßig zum Tierarzt gegangen und trotzdem konnte das Geschwür so schnell wachsen, dass Paul keine Chance hatte. Wie konnte Dr. Müller das nur übersehen? Abends hatte sie dann einen heftigen Streit mit Michael gehabt, der eineinhalb Wochen vor Pauls Tod einen Termin in der Tierklinik abgesagt hatte, weil ihm beruflich was dazwischen gekommen war. Vielleicht hätte man da noch was machen können.

3. Suchen, finden, sich trennen

Alles, aber wirklich alles erinnerte an Paul. Das Hundebett im Wohnzimmer, die Leine an der Garderobe und die Näpfe in der Küche. Wenn Sabine mittags mit Paula spazieren ging, versuchte sie die Orte zu meiden, an denen die Emotionen zu stark würden. Doch Paul war allgegenwärtig. Kein Baum, den er nicht markiert hätte, keine Wiese, die nicht an irgendeine Situation erinnert hätte, in der Paul irgendeinen Mist gebaut hätte. Wenn Michael abends mit Paula die letzte Runde ging und die pubertierende Hündin mal wieder in der Dämmerung verschwunden war, führte Michael regelrechte Debatten mit dem toten Paul. „Das hat sie von Dir“, schmunzelte Michael, als er irgendwo in der Dunkelheit eine Katze kreischen und eine Hündin bellen hörte.

4. Neuer Selbst- und Weltbezug

„Hatten Sie nicht immer zwei Hunde?“ fragte die freundliche ältere Dame vorm Café. „Ja,“ sagte Sabine. „wir haben immer noch zwei Hunde. Die eine hier an meiner Seite und der andere in unseren Herzen.“ Es gab viele solcher Situationen. Oft wurden Sabine und Michael nach Paul gefragt. Eigentlich kein Wunder, schliesslich war er ein sehr eindrucksvoller Hund und das Ehepaar in dem kleinen Dorf natürlich auffällig mit gleich zweien von der Sorte.

Und die beiden dachten oft an ihren Paul, was auch kein Wunder war, denn schliesslich hatten sie jede Menge mit ihm erlebt. Doch mit der Zeit normalisierte sich das Leben der Familie wieder, der Alltag kehrte wieder zurück, zumindest fast.

Denn kaum war Pauls Ableben verarbeitet, da begann Paula zu zeigen, was die Pubertät aus einer 40-Kilo-Hündin machen kann. Und natürlich die Tatsache, dass sie nun Alleinherrscherin war.

Als Paula das erste Huhn vom benachbarten Bauernhof nach Hause schleppte, dachte Michael noch, dass Sabine das Gartentor nicht richtig verschlossen hätte. Beim Zweiten war er sich sicher, dass es zu war. Und erstaunt, wie teuer so ein Huhn ist. Als er eines Abends nach Hause kam und Paula sämtliche Futtervorräte in einem Heißhungerrausch vernichtet hatte, ahnte er bereits, dass sie gelernt hatte Türen zu öffnen.

Zum Glück für Michael hatte der eingebaute Vorratsschrank ein Schloss, zum Pech für Michael stellt eine Tür aus Sperrholz kein wirkliches Hindernis für einen hungrigen 40-Kilo-Klops dar. Selbiges galt für den alten Lattenzaun vorm Haus, der der vorbeilaufenden Streunerkatze zwar den rettenden Vorsprung gesichert hatte, aber der rasenden Paula ansonsten nicht viel entgegensetzen konnte.

Doch das waren nicht die einzigen neuerworbenen Angewohnheiten, die dem Leben von Michael und Sabine einen, naja, besonderen Schwung verliehen.

Irgendwann, kurz vor Paulas erster Läufigkeit hatte die Hündin nämlich festgestellt, dass sie fremde Hunde, insbesondere solche, die es wagten, sich ihr auch nur auf 50 Meter zu nähern, nicht mochte. Und das sie genügend Kraft hatte, das auch unmissverständlich klar zu machen. Die Definition „Fremd“ schloss dabei jeden Hund ein, der nicht Maya war. Die Rotti-Hündin von Erika genoß bei Paula so etwas wie einen Königinnenstatus. Alle anderen waren Fussvolk, wenn überhaupt. Eher so etwas wie lebendige Kegel. Es war nämlich nicht so, dass sie die anderen Hunde verletzte, vielmehr rammte sie sie mit voller Wucht um und verjagte sie aus ihrem Territorium. Die Definition „Territorium“ beschrieb wiederrum jeden Ort, an dem sich Paula gerade befand.

Einen Schäferhund-Mix, zwei Labradore und einen kleinen wuscheligen weissen Terrier später war klar, dass das eigentliche Problem weniger die Artgenossen waren, sondern vielmehr die Reaktion der anderen Hundehalter, wenn Power-Paula über das Feld spurtete und mit einem lauten Bumms den fremden Hund niederstreckte.

Also bekam Paula erstmal Leinenzwang verordnet. Jedoch nicht ohne sich an ein Erfolgsrezept aus ihrer Kindheit zu erinnern. Wenn die Leine kaputt ist, kann man nicht angeleint werden. Es muss ein Dienstag gewesen sein, an dem Sabine in das Zoofachgeschäft fuhr, um wieder einmal Ersatz für die mittlerweile zwei Nylon- und drei Lederleinen zu finden, die Paula in recht kurzer Zeit aufgespürt und kaputt gemacht hatte. Ebenso wie einen Teil der Wohnzimmereinrichtung.

Als Paul noch lebte, hatte Paula nie etwas kaputtgemacht. Das war wieder so ein Moment, in dem er fehlte. Zumindest fast nie.

An diesem Abend hatte Paula ihr Ziel erreicht. Ihr Körbchen zog um – ins Schlafzimmer zu Michael und Sabine. Das war allemal besser als jeden Morgen die Spuren Paulas nächtlichen Einfallsreichtums zu beseitigen. Vom Wohnzimmer ins Schlafzimmer – für Michael und Sabine das kleinere Übel. Für Paula ein großer Schritt in Richtung Weltherrschaft …

9 Kommentare
  1. Pia
    Pia sagte:

    Ein schöner Abend,…. Es geht weiter…. Der Jubelschrei meiner Familie war gross, als wir es entdeckten……
    Aber das Kapitel 19 ist noch im Kopf des Autors hängengeblieben, oder?

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  2. annette
    annette sagte:

    Juchu, es geht weiter! Fast hätte ich es übersehen – Folge 19 hab ich jetzt aber nicht verpasst, oder?
    Ich könnte Sabine da jemanden empfehlen der ihr beibringt wie sie mit Paula umgehen sollen, gell Ute? :D

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  3. Conny
    Conny sagte:

    ein schritt in richtung weltherrschaft… ich lach mich schlapp… woran erinnert mich das nur ? im moment hab ich nicht so viele sympathien für paula, aber das liegt auch an der herrlichen erzählweise… weiter so…

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  4. Tine
    Tine sagte:

    Unsere Hündin schläft auch im Schlafzimmer – da sind wir sehr konsequent! Und wehe, sie möchte morgens nicht ins Bett kommen – vorher stehen wir gar nicht auf! Unser Hund ist ein Hovawart – nur 26 kg. Man kann so herrlich das Gesicht in ihrem Fell vergraben. Und sich gegenseitig in die Nasenlöcher atmen, wenn sie mit ihrem Kopf auf der Brust liegt. Deswegen regiert sie trotzdem nicht die Welt sondern schaut uns beim Herrschen zu.

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