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Fataler Doppelbesatz (3)

Nachdem ich mich zunächst mit der Geschichte von Frau Ertel und einigen – meiner Meinung nach – fragwürdigen Ansichten und Regeln für das Zusammenleben mit dem Hund auseinandergesetzt habe, möchte ich mich in diesem dritten Teil mit vermeintlichen Beweisen und den Menschen beschäftigen, die die Rudelstellungen betreiben.

Zur Zeit erleben die vererbten Rudelstellungen so etwas wie einen Hype, was zum Einen daran liegt, dass die Hundeflüstererin Frau Nowak diese Philosophie in der gleichnamigen Sendung vertritt.

Zum anderen wird im Moment von Seiten der Rudelstellungsverfechter gerne auf eine Studie verwiesen, die den vermeintlichen Beweis antreten soll, dass die vererbten Rudelstellungen wissenschaftlich belegbar sind.

Die Studie mit dem schönen Namen „Leadership and Path Characteristics during Walks Are Linked to Dominance Order and Individual Traits in Dogs“ kann im Internet nachgelesen werden und ist leider nur auf Englisch verfügbar.

Die Wissenschaftler haben mittels GPS-Daten Bewegungsmuster einer Hundegruppe bestehend aus 5 Vizslas und einem Mix sowie ihres Besitzers bei 14 Spaziergängen zwischen 30 und 40 Minuten erstellt und dabei gut 800.000 GPS-Punkte gesammelt.

Um die Persönlichkeiten der Tiere zu quantifizieren bedienten sich die Forscher zum einen des sogenannten „Dog Personality Questionnaire“ und des „Dominanz-Fragebogens“ aus der Studie „How does dominance rank status affect individual and social learning performance in the dog (Canis familiaris)?„.

Sehr viel Arbeit also, doch allein die Tatsache, dass es sich bei den Erforschten um exakt eine Gruppe von Hunden handelt, lässt vrmuten, dass es den Wissenschaftlern nicht um die Rudelstellungen gegangen sein kann.

Meiner Meinung nach beschreibt diese Arbeit – grob zusammengefasst – lediglich das, was eigentlich alle wissen, nämlich dass Hunde hochindividuell und anpassungsfähig sind und dass es unterschiedlichste Persönlichkeiten mit ihren jeweiligen Eigenarten gibt. Hierbei gibt es „Führungspersönlichkeiten“ genauso wie es Individuen gibt, die „folgen“.

Soweit sogut, mit vererbten Rudelstellungen hat die Studie meiner Meinung nach also nichts zu tun, aber ich bin ja auch kein Biologe.

Aber dafür eine gute Bekannte von mir, die so nett war und das Ganze auch noch mal hinsichtlich der vererbten Rudelstellungen durchforstete.

Sie kam schließlich zu dem selben Schluß, nämlich das aus den Ergebnissen der Studie nicht auf die Theorien der vererbten Rudelsstellungen geschlossen werden kann.

Soweit zur Theorie, aber es gibt ja unzählige Dinge zwischen Himmel und Erde, die nicht wissenschaftlich erklärbar sind.

Daher bleibt als Bewertungsgrundlage nur das, was die Verfechter der vererbten Rudelstellungen von sich geben, wenn sie Hunde einschätzen. Vor einigen Jahren hätte ich einmal beinahe selber das Vergnügen gehabt, unsere eigenen (Tierschutz-)Hunde bei Frau Ertel persönlich einschätzen lassen.

Dazu ist es jedoch nicht gekommen, dafür hatte ich ich vor knapp zwei Jahren mal die Gelegenheit, der Präsentation einer Rudelstellerin zu lauschen, zudem sind einige Menschen in meinem Freundeskreis das Wagnis eingegangen und haben ihre Hunde einschätzen lassen.

Als dritte Quelle dient mir das Forum auf Frau Ertels Internetseite, allerdings muss ich gestehen, dass ich keinen Zugriff mehr darauf habe. Verständlich, denn was man dort noch vor garnicht langer Zeit, bevor es Beschränkungen gab, so lesen durfte, war schon interessant.

Fazit: Man muss sich darauf einlassen – sozusagen sind die Rudelstellungen dei Globuli unter den Hundeerziehungsmethoden.

Die in verschiedenen Berichten genannte „Hundetauschbörse“ gab es zu dem Zeitpunkt – also vor ca. 2 1/2 Jahren –  tatsächlich, die zumeist weiblichen Nutzer schienen immer auf der Suche nach dem perfekten „Rudel“ zu sein. Da wurde mal hier ein Hund ausprobiert, da wurde mal da ein Hund eingeschätzt. Und wenn es nicht funktioniert hat, wurde er wieder abgegeben.

So war das Argument FÜR die Einschätzung von Tierheimhunden durch Frau Ertel auch, dass den Mitgliedern quasi egal wäre, welche Rasse oder welches Alter der Hund hätte, so lange er die gesuchte Position im Rudel einnehmen würde.

Das dem nicht so ist, konnte mir eine befreundete Tierheimleiterin bestätigen, bis Dato wurde bei ihr noch kein Hund vermittelt, weil er ein MBH oder sonstiges wäre.

Abgesehen davon, aber das ist meine persönliche Meinung, finde ich es grenzwertig, einen Hund einzig und allein auf Grund seines vermeindlichen Nutzen für ein nicht funktionierendes „Rudel“ anzuschaffen.

Mindestens genauso grenzwertig fand ich die Diskussionen, wenn es mit dem perfekten Rudel nicht so klappte.

Natürlich hat jeder das Recht, in einem persönlichen Forum die Regeln für die Streitkultur selber festzulegen, zusammengefasst wurden Kritikerinnen relativ schnell mit dem Stigmata der Ahnungslosigkeit belegt und ihnen – da isses wieder – unterstellt, dass sie sich nicht „einliessen“. Was auch immer das bedeuten mag.

Außerdem wurde immer gerne das Argument vorgebracht, dass die armen Hunde in ihrer wahren Persönlichkeit eingeschränkt würden und deshalb nicht ihrer Rolle gerecht werden dürften.

Nun leben wir in einer Welt, in der Hunde bestimmten gesellschaftlich aufoktruierten Regeln zu folgen haben. Da diese Regeln zumeist nicht viel mit den Vorstellungen unserer Hunde gemein haben, müssen wir sie wohl oder übel erziehen.

Und selbst in dem Moment, in dem wir versuchen nicht auf sie einzuwirken, tun wir es trotzdem. Frei nach dem ersten Axiom von Paul Watzlawick kann man nämlich nicht nicht kommunizieren, selbiges gilt für unseren erzieherischen Einfluss auf unsere Hunde.

Selbst wenn wir unseren auf Grund eines Fehlbesatzes an der Leine pöbelnden Hund einfach nur festhalten, haben wir uns schon eingemischt.

Aber man muss sich nunmal darauf einlassen. Und das ist genau mein Problem.

In einer Zeit immer neuer Methoden, die das Zusammenleben mit unseren Hunden erleichtern sollen, habe ich mir angewöhnt, erstmal zu hinterfragen.

  1. Auf welchen Studien, Quellen, Dissertationen etc. beruht eine Theorie?
  2. Werden die Ergebnisse durch andere Studien unterfüttert?
  3. Werden die Studien etc. vollständig wiedergegeben oder wird da was verschwiegen?
  4. Sind die Ergebnisse wiederholbar?

Im Falle der vererbten Rudelstellungen reicht eigentlich die Beantwortung einer der Fragen aus, um zumindest skeptisch zu werden.

Zumal die Einschätzungen nicht belastbar sind und im Zweifelsfalle auf die – störende – Einmischung des Menschen verwiesen wird. Allein die Tatsache, dass Hunde wieder abgegeben werden, obwohl sie per Einschätzung perfekt in die Gruppe passen müssten, zeigt doch, dass ein Sozialverband wesentlich komplexer ist, als dass man in in sieben Positionen unterteilen könnte.

Und wenn Frau Nowak einem völlig überforderten Besitzer eines ungebremsten Junghundes die Anschaffung eines zweiten empfielt, muss das schon als verantwortungslos bezeichnet werden.

Dennoch gibt es einige Menschen, die daran glauben, dass die Rudelstellungen tatsächlich funktionieren und ihre Meinung durch nichts, aber auch garnichts in Wanken bringen lassen.

Dabei ist die Einschätzung von Hunde-Persönlichkeiten sehr hilfreich, wenn es zum Beispiel darum geht, eine Gruppe im Tierheim zusammenzustellen. Doch wäre doch die Vorgehensweise, erst den Hund einzuschätzen und im Anschluss anhand der Ergebnisse individuell der Gruppe entsprechend ein Soziogramm zu erstellen.

Mit dem Ergebnis, dass Hund A beispielsweise in dieser Konstellation eine bestimmte Rolle einnimmt, in einer anderen aber vielleicht eine völlig andere. Warum man erst den Schuhschrank baut und dann versucht, die Schuhe da rein zu stopfen, erklärt sich mir nicht.

Sehr wohl verstehen kann ich indes, dass viele Menschen das Bedürfnis haben, Hilfe zu erfahren, dass sie verzweifelt sind und vielleicht sogar Schuldgefühle in sich tragen.

Und im Bereich des Seelestreichelns sind die Rudelstellungen unschlagbar. Denn wenn es unter den Hunden nicht klappt, dann liegt das nicht an fehlenden Management-Qualitäten des Halters, sondern an der ungünstigen Konstellation des Rudels.

Nicht nur, dass der Mensch aus seiner Verantwortung heraus entlassen wird, nein, im Falle der Rudelstellungen ist das Entziehen der eigenen Persönlichkeit sogar ausdrücklich erwünscht.

Fragen, die sich jeder Mehrhundehalter stellt, nämlich ob ein Hund vielleicht zu kurz kommt und wie man allen gerecht werden kann, können beruhigt vergessen werden.

Laut Frau Ertel und anderen Rudelstellerinnen tut menschliche Fürsorge den Hunden nämlich garnicht so gut, wie wir denken – ganz im Gegenteil, sie hindert die Vierbeiner in ihrer Entwicklung.

Dass die Entwicklung unserer hochanpassungsfähigen Hunde in den letzten Jahrzehnten hin zu Sozialpartnern, die ja auch züchterisch vorangetrieben wird, dabei ausser Acht gelassen wird, finde ich nicht unproblematisch.

Unter diesem Gesichtspunkt allerdings verstehe ich sehr gut, dass einige Menschen, die sich mit der Anschaffung mehrerer Hunde vielleicht übernommen haben, die vererbten Rudelstellungen für sich entdeckt haben.

Alle anderen aber, die verstehe ich nicht.

14 Kommentare
    • Katharina Liechti
      Katharina Liechti sagte:

      Supervideo ! Was sehe ich ? Hunde im Freilauf ! Jupie rennen,jupie Mauseloch gefunden,jupie hab auch eins gefunden ! Wissenschaft in Ehren,aber… (von Tauben hab ich keine Ahnung) wenn ich dann noch höre,dass diese Studie später vielleicht sogar auf Manschen „übertragen“ werden könnte, dann wird mir einmal mehr angst und bange! ( Als Kind hätte ich gesagt:Karussell halte an, ich will runter !) Aber vielleicht bin ich auch nur doof,dann aber von Herzen gerne !!!

      NORMEN : danke !!!

      Antworten
        • Mike
          Mike sagte:

          Nene liebste Kathi, neuerdings übertragen wir als unstudierte Hobby Psychologen Menschliche Krankheiten wie Angst-Psychosen, Deprivations-Schäden oder z.B. ADHS direkt und 1zu 1 auf den Hund. Jawohl!
          Und wehe einer sagt der Fehler liegt bei meiner unfähigen Erziehung äh Rudelstellung…
          ;)
          PS: Ich will auch keine Ahnung von Tauben haben :(

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  1. Silke W.
    Silke W. sagte:

    Was mir bei aller berechtigter und absurder Kritik am RS-Modell nie einleuchten wird, sind sämtliche Argumente, die sich darauf berufen, dass ein Hund in verschiedenen sozialen Umfeldern unterschiedliche Rollen einnimmt.
    Das ist doch ganz selbstverständlich so und berührt die Frage von RS überhaupt nicht.
    Dass Clint Eastwood sowohl einen rührgeseelten Brückenfotografen als auch einen Dirty Harry spielen kann, sagt jetzt genau was über Clint Eastwood in seinem Leben als Ehemann, Vater und (Ex?)-Bürgermeister einer Kleinstadt aus?
    Außer, dass es ihm vermutlich leichter fällt, den Rächer der Enterbten zu spielen als die trauernde Witwe?

    Wenn es also um die Frage Schuhschrank oder Schuhe zuerst geht, dann schaut RS halt, was für Schuhe Clint Eastwood trägt und baut dafür eben keinen Schrank für die sporenbewehrten Stiefel von Django…

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    • normen
      normen sagte:

      Für die RS-ler gäbe es ausschliesslich den „Dirty Harry“, egal ob man ihn vor eine Brücke oder in eine Geisterstadt stellt.

      Antworten
      • Silke W.
        Silke W. sagte:

        Das ist nicht wahr und so ziemlich das Gegenteil von dem, was RS’ler tatsächlich tun oder jedenfalls zu tun glauben/hoffen/anstreben.

        Antworten
        • normen
          normen sagte:

          Wie erklärt sich in dem Zusammenhang, dass ein Hund von Frau Ertel (und anderen) als MBH eingechätzt wird und dann aus genau diesem Grund mit nach Hause genommen wird?

          Antworten
          • Silke W.
            Silke W. sagte:

            Ich muss erstmal überlegen, wie die Frage gemeint ist…
            Natürlich nimmt man einen MBH genau deshalb, weil er ein MBH ist.
            Aber Euer Umkehrschluss, dass das Etikett „MBH“ das alleinige Kriterium ist, stimmt nicht. Die Eigenschaft „MBH“ ist die Grundvoraussetzung.
            Dann guckt man, ob es passt. Kriterien fürs Passen sind ob Wesensfestigkeit und Kenntnis der zu den Stellungen gehörenden Verhaltensabläufe, Größe/Gewicht und Altersunterschiede für ein Funktionieren der Vergesellschaftung sprechen und vor allem auch, ob die Hunde sich sympathisch sind.
            Hab ich die Frage richtig verstanden?

  2. Mike
    Mike sagte:

    Naja. Hat aber schon was von Dirty-Harry die Story von der Ertel. So als Einzelkämpferin in den Spanischen Bergen bei den Hundemeuten-Führern ……
    Na aber RS hin oder her. Entweder du hast halt nen Starken Hund oder nen schwachen.
    Wenn ich meinen Hund schon begutachten lassen muss um das festzustellen sollte ich mir wohl lieber Tauben anschaffen. ……

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  3. AHB-Blog(g)er
    AHB-Blog(g)er sagte:

    „Laut Frau Ertel und anderen Rudelstellerinnen tut menschliche Fürsorge den Hunden nämlich garnicht so gut, wie wir denken – ganz im Gegenteil, sie hindert die Vierbeiner in ihrer Entwicklung.“
    Das deckt sich doch mit dem was ein Rütter z. B. sagt:
    „Ich trainiere Hunde – aber in erster Linie ihre Menschen“
    Abgesehen davon sind beide Aussagen kein Ohrenschmaus. Wer mit dem Tier, das dem Menschen heute noch am nähesten steht – egal wie seltsam es heute wirkt (womöglich aufgrund eben der lange Bindung mit jenem Geschöpf) -, Probleme hat, der sollte selbst seine Suppe auslöffeln, wenn er es trotzdem versucht hat. Ein Rütter und eine Ertel sind in dem Sinne Heilsbringer einer unheimliche Sozialpartnerschaft. Was ist daran falsch, außer dass dieser Umstand gar nicht erst eintreten hätte dürfen?
    Rütter klingt halt süss wie (un)echtes Mädesüß und Ertel sauer wie der gewöhnliche Sauerampfer. Wer es anders haben will ist Habichtskraut, das ist auch gewöhnlich, nur bitter.

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  4. Katharina Liechti
    Katharina Liechti sagte:

    Mensch wieviel muss ich noch „dazulernen“…… Hatte einen Englischsetter und wollte einen Grosspudel als Zweithund! Englisch war nicht einverstanden! Heisst, wenn Grosspudel in seine Nähe kam nahm er Reissaus. (Tu dir nicht’s aber ich mag dich nicht) zum Glück wusste ich nicht’s von Rudelstellung sonst hätte ich wohl Pudel zurückgegeben!!!(oder Setter ? neee!!!) Bin nach kurzer Zeit auf mein Sofa gehockt, einer links der andere rechts von mir (glücklicherweise konnte ich mir diesen Zeitaufwand leisten!) und ohne viele Worte (aber mit viel beobachten und natülich auch mit sanftem Eingreifen) war unter uns dreien bald alles geklärt und die beiden haben sich super vertragen, ich würde sogar sagen, sie haben sich geliebt und geschätzt. Was ich noch sagen möchte: je nach Situation war mal einer Leithund,oder……oder…… Und ich war dabei. War ich vielleicht der Leithund ? Eines ist jedenfalls sicher: sollte mich „Rudelstellungvirus“ befallen, zähle ich auf echte Hundeversteher, welche dann alles daransetzen würden,dass ich mir ein Stoffhündchen anschaffen würde !

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