Auf Reise (3)

Seitdem ich ich es geschafft habe, meine ehemalige Hundehütte in eine spektakuläre Tropfsteinhöhle zu verwandeln, fahre ich ziemlich viel Auto.

Eine gute Gelegenheit, um nachzudenken. Insbesondere, wenn man einen schweren Anhänger hinterm Bulli herzieht und mit 80 ohne Autoradio 10 Stunden lang die Autobahn entlang schleicht. Es sei denn natürlich, der Fahrer des 40-Tonners hinter mir hat wenig Geduld und scheucht mich mit 110 vor sich her.

Eigentlich ist es gut für die Psychohygiene, sein Leben hin und wieder mal zu entrümpeln. Gut, meine Sortierung wäre ein ganz kleines bisschen anders ausgefallen,  aber tatsächlich habe ich oft an die Zeit zurückgedacht, in der mein ganzer Hausrat noch in einen VW Bus passte. Nun passt er in einen VW Golf. Ich kann also noch was dazu kaufen, um an meinen Lebensstandard von vor 20 Jahren anzuknüpfen.

Das Merkwürdige an der Zukunft ist wohl die Vorstellung, dass man unsere Zeit einmal ‚die gute alte Zeit‘ nennen wird (Ernest Hemingway)

Meine Hunde freuen sich jedes Mal einen Keks, wenn ich den geteerten Feldweg zum Haus hochfahre. Kein Wunder, sie verbinden diesen Ort mit wunderbaren Erfahrungen.

Tacker kläfft die vorbeigehenden Spaziergänger an. Konsequenzlos, weil das Grundstück viel zu groß ist, um irgendetwas dagegen zu unternehmen. Tacker beißt dem DPD-Boten in den Arsch, weil dieser das „Vorsicht Hund“-Schild ignoriert hat und Normen sich gerade einen Kaffee holen wollte. Tacker pöbelt den ihm körperlich haushoch überlegenden Nachbarsmastiff an. Auch konsequenzlos, ist ja ein Zaun dazwischen.

Wenn ich so darüber nachdenke, finde ich es bewundernswert, dass mein Oberrüde nicht schon ins Appetenzverhalten geht, wenn ich in Lübeck losfahre. Feiner Hund!

Kaum zu glauben, dass ich die Zeit, in der ich mir regelmäßig das Genöle meines Nachbarn (das war der ohne Mastiff) anhören musste, weil die Hunde wahlweise zu laut, viel zu laut, zu gefährlich oder viel zu gefährlich waren, jemals als die gute alte Zeit bezeichnen würde.

„Abschied ist immer ein wenig sterben“ (Arthur Schnitzler)

Nun liege ich in dem Raum, der früher meine Küche war. Hier gibt es die drei letzen verbliebenden funktionierenden Steckdosen, so dass ich bei survivalmäßigen Minus 6 Grad Außentemperatur den Raum mithilfe von nach Plastik stinkenden Billigheizlüftern wenigstens auf sage und schreibe 8 Grad Plus aufheizen kann.

Ich stinke ein wenig nach frisch gewickelten Säugling, weil ich mangels fliessenden Wassers meine Morgendusche mit Baby-Feuchttüchern erledige.

Gestern habe ich mit dem Sachverständigen gesprochen, der mir ans Herz gelegt hat, keinen Cent mehr in die Hundehütte zu investieren. Stattdessen gab er mir eine Visitenkarte eines Freundes, der kostengünstig und zuverlässig Träume und Erinnerungen zu Staub und verwertbaren Baugrundstücken verwandelt.

Trotzdem bin ich jetzt gerade glücklich. Meine Jungs zeigen sich gnädig und befellen mich von allen Seiten, so dass es tatsächlich einen Moment beinahe zu warm wird in diesem Raum.

Als ich vor ein paar Wochen in der Schweiz auf einem Workshop war, haben meine Freunde in meiner Abwesenheit meine Lübecker Wohnung, deren Inhalt bis Dato aus einer Matratze und sechs Kartons bestand, in einen funktionierenden Haushalt verwandelt.

Gut, passt nicht mehr in einen VW Bus, aber mir wurde versichert, dass niemand persönlich beleidigt wäre, wenn ich mich einiger Dinge wieder entledigen würde.

Ein Haus ist ein Haus ist ein Haus. Und hat den großen Nachteil, dass es einen an einen Ort bindet und am Entdecken hindert.

Und gerade jetzt fühle ich eine Erleichterung, dass ich wieder frei bin. Klar, es wird teuer, es wird ärgerlich und ich werde noch viele graue Haare dazubekommen und im Gegenzug Lungen- und Leberzellen einbüßen.

Aber am Ende sind es nur Steine, Holz und Glas. Am Ende kostet es nur Geld. So sinnlos, dass es sogar schier unendlich gedruckt wird.

Raik gähnt derweil und streckt sich. Der ist einmalig und den kann man nicht nachdrucken. Ich streichel seinen Bauch und freue mich, dass es den Jungs gut geht. So wie mir.

Ich bin gesund (toitoitoi), ich habe tolle Hunde, die mich regelmäßig zum Lachen, zum Weinen und zum Staunen bringen – und ich habe großartige Menschen um mich herum, die mich lieben und die für mich da sind. Was will ich bei all dem Luxus noch mit einem Haus?

„Was wunderst Du dich, dass Deine Reisen Dir nichts nützen, da du Dich selbst mit herumschleppst“ (Sokrates)

Natürlich könnte ich all dem Kram hinterherweinen. Aber was zum Teufel ist schon Kram? Warum sollte ich meine Zeit damit verschwenden, meine DVD-Sammlung nach Exemplaren zu durchsuchen, die nicht nass und verschimmelt sind, wenn ich gleichzeitig ein gutes Gespräch mit einem interessanten Menschen führen kann?

Warum sollte ich meine Zeit damit verschwenden, den Rasen zu mähen, wenn ich gleichzeitig auch mit der Bande auf einer Wiese sein kann?

Warum sollte ich der Vergangenheit hinterher jammern, wenn es gleichzeitig so viel neues zu entdecken gibt?

Ich denke über letzten Jahre nach und bin dankbar. Dankbar für jede einzelne Erfahrung, egal wie schön oder schmerzhaft sie war.

Ich denke an all die Hunde, die in diesem Haus gelebt haben und was aus ihnen geworden ist. Ich denke an die Menschen, die dieses Haus besucht haben und ihre Spuren hinterlassen haben.

Ich denke an jemand wichtigen und an den einen Sonnenuntergang in jenem August, an dem wir auf dem Mäuerchen vorm Haus saßen, Becks tranken und ich etwas lernen durfte, das mir vorher unbekannt war und bis heute unbegreiflich. Ich kann gar nicht in Worte fassen, wie dankbar ich Dir bin.

Ich verlasse dieses Haus, diesen Lebensabschnitt und freue mich auf den nächsten.

Meine Hunde freuen sich auch.

Arbeite, als ob Du kein Geld brauchst.
Liebe, als wenn Du nie verletzt wurdest.
Tanze, als ob Dir niemand zusieht.
(Irische Weisheit)

4 Kommentare
  1. dagmar
    dagmar sagte:

    moin moin , … „Tacker beißt dem DPD-Boten in den Arsch, weil dieser das „Vorsicht bissiger Hund“-Schild ignoriert hat “
    Wenn ich ein Schild: Vorsicht, bissiger Hund aufstelle, zeige ich damit schriftlich und rechtlich vebindlich an, dass mein Hund bissig ist.
    Das erleichtert Schadensersatzforderungen von Gebissenen gegen Dich
    Besser ist: Warnung vor dem Hunde..

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  2. Hannah
    Hannah sagte:

    Das ist die beste und richtigste Art, das ganze zu betrachten. Es ist kein Kampf, es ist nur ein weiterer Weg, der zu gehen ist und ein Ziel haben wird!
    Alles Gute dabei, Normen!

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  3. Christine Horn
    Christine Horn sagte:

    Hallo Norman,
    das hast du schön geschrieben und es steckt so viel wahres in deinen Worten. Ich bin nach 7 Jahre mehr oder weniger zermürbenden Kleinkrieg mit dem hiesigen Jugendamt auch dabei mich neu zu sortieren.
    Der Weg ist das Ziel…
    Dir noch ein schönes Wochenende mit deinen Jungs, ich werde mit meinen Jungs auch noch viel Spaß haben.

    Viele Grüße aus Ostfriesland

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