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Auf Reise (2)

„Unglücklich verliebt zu sein, ist wie ein Beinbruch – bist Du jung, ist es nach ein paar Wochen wieder vergessen, bist Du älter, dauert es ewig, bist Du wieder auf die Beine kommst.“

Monika zog an ihrer selbstgedrehten Zigarette, nahm einen Schluck Bier und schaute über die Ostsee hinweg auf die Wolken, die sich langsam zuzogen: „Weißte, Menschen wie wir brechen uns selten die Beine, aber wenn, dann humpeln wir den Rest unseres Lebens.“

Monika war meine Ostseebekanntschaft, eine kleine, pummelige Dame, vermutlich so um die Siebzig. Sie verdiente ihr Geld als Haushälterin in einer völlig heruntergekommenen Herberge für feierwütige Biker und nicht weniger feierwütige Dänen auf Fehmarn, in der ich untergekommen war, weil ich eine möglichst günstige Unterkunft gesucht hatte.

Günstig war meine „Ferienwohnung“ tatsächlich und die Tatsache, dass ich sieben Hunde ohne Aufpreis mit hinein nehmen durfte, ließ mich vergessen, dass es sage und schreibe ein Klo für vierzehn „Appartments“ gab und Bettwäsche im Gegensatz zu den Hunden fünf Euro am Tag kostete.

Die grauhaarige Herbergsmutti und ich hatten uns angefreundet, als ihr kugelrunder Shitsu eines Morgens meine Hunde umbringen wollte, als ich versuchte, mit ihnen halbwegs unbemerkt durchs Siebzigerjahretreppenhaus an die frische Luft zu gelangen.

Wir kamen ins Gespräch, sie erklärte mir, wie ich einen Strand finde, an dem keine „Windjacken“ – so nannte sie die Touristen – zu finden seien und machte mir einen Kaffee.

Am Abend vor meiner Weiterreise trafen wir uns zufällig am Strand, ich wunderte mich etwas über ihren Dosenbiervorrat, freute mich aber, dass sie bereit war zu teilen.

So saßen wir da, es wurde langsam dunkel und sie erzählte mir von Bikern, Dänen und ihrem Leben, nur unterbrochen vom Gekläffe ihres Shitsus, der Touristen augenscheinlich genauso verachtete wie sie.

Früher, da war alles anders auf der Insel, erklärte sie. Was genau anders gewesen sein soll, konnte ich nicht ganz nachvollziehen, bis sie begann, von Hans zu erzählen.

Hans hatte einen Rottweiler und ein Motorrad, mit dem er Monika immer abgeholt hatte und mit ihr nach Petersdorf gefahren sei.

Außerhalb der Urlaubssaison sei dort kaum jemand anzutreffen. Monika und ihr Hans waren zu der Zeit jung und verliebt gewesen. Stundenlang seien sie auch beim schlimmsten Sturm spazieren gegangen, haben sich über alles mögliche und unmögliche unterhalten, um dann schließlich in Hans kleiner Wohnung in Puttgarden zu landen und Dinge zu tun, die hier nicht hingehören und die ich so genau auch gar nicht wissen wollte.

Während Monika so von ihrer Jugend berichtete und sich in meinem Kopf ganz merkwürdige Bilder zu festigen drohten, unterbrach sie abrupt ihren Redeschwall und schwieg.

Sie drehte sich wirklich gekonnt einhändig eine Zigarette und kramte mit der anderen Hand ein riesengroßes Altfrauenportmonee hervor.

Aus der Geldbörse nahm sie ein verblichenes Foto mit gezackten Rändern, wie sie in den 1970er Jahren mal in Mode waren und deutete auf den großen, spindeldürren Mann, der eine kleine, schlanke junge Frau im Arm hielt. „Das waren wir“, sagte sie und schaute mich an, als wenn sie eine Antwort erwarten würde. Also antwortete ich „Ihr ward ein schönes Paar“, um sie zufrieden zu stellen.

„Papperlapapp“ entgegnete sie schnippisch, packte das Bild zurück und nahm einen Schluck Bier.

Am Horizont tauchten zwei „Windjacken“ auf, der Shitsu rannte ihnen beherzt entgegen und kläffte sie besorgniserregend an.

Die männliche Windjacke rief Monika zu, dass sie doch bitte den Hund zurückrufen möge, was sie ignorierte und mit ihrer Geschichte fortfuhr.

Irgendwann war Hans weg, erst geistig, dann irgendwann auch körperlich. Nach Hamburg sei er gegangen, die Insel sei ihm zu eng geworden.

Dort habe er sich neu verliebt, was ihr geblieben war, war Hans‘ Rottweiler. Ironischerweise ein Hund, der fremden Männern nicht viel abgewinnen konnte, vielleicht einer Gründe, warum Monika sich nie mehr verliebt hatte. Vielleicht hatte sie aber auch recht mit ihrem Vergleich. Wer riskiert schon einen weiteren Beinbruch, wenn der alte niemals abheilt.

Die Hauptstadt von Fehmarn heißt Burg und als ich vor meiner Reise noch einen Termin wahrnehmen wollte, machte ich dort kurz halt. Ich war recht früh dran, der morgendliche Kaffee bei Monika musste ausfallen, weil sie den Rasen mähen musste und so entschied ich mich dazu, am „McDrive“ zu halten und mir einen Kaffee zu bestellen.

Da der junge Mann am Schalter mich warten ließ, dachte ich mir, sei umweltbewusst und gönne dem Vierlitervausechs eine kurze Pause. Der Jeep, den ich mir im letzten Jahr eher aus einer Schnapslaune heraus gekauft hatte, ist knapp Achtundzwanzig Jahre und damit eigentlich viel zu alt, um mich tausende von Kilometern quer durch die Republik zu karren. Außerdem benötigt er nur um Anzuspringen Benzin im Wert einer guten Flasche Rotwein. Aber da das Vernunftauto Anfang des Jahres auf der A7 von einem LKW erlegt wurde, muss das alte Schlachtross noch eine Zeit lang funktionieren.

Dafür, dass mein Auto aus den USA kommt, verfügt es über durchaus britischen Humor. Und so bekam ich endlich meinen Kaffee, wollte losfahren und … der Vierlitervausechs sprang mitten im McDrive nicht mehr an.

Ein kurzer Blick auf die Batterieanzeige bestätigt, dass ich jemanden brauche, der mir Starthilfe gibt, glücklicherweise weiß ich um den Zustand meines Fahrzeugs und habe alles nötige dabei.

Wenn ich mit Hütehunden arbeite, lege ich immer großen Wert darauf, dass sie Frustrationstoleranz lernen und mit Stress gelassen umgehen können.

Interessanterweise lässt sich dieses Prinzip recht einfach auf Menschen übertragen, die im McDrive hinter einem liegengebliebenen Auto warten.

Hierbei konnte ich zwei entgegengesetzte Verhalten beobachten:

1. Eigentlich würden wir gerne weiter fahren, geht aber nicht, weil da ein Jeep im McDrive steht.

2. Das heißt noch lange nicht, dass wir dem Typen mit dem Jeep helfen. So dringend ist der unter 1. formulierte Wunsch dann doch nicht.

Nachdem mir ein junger Familienvater in einem scheußlichen Hemd glaubhaft versichert hatte, dass mein Jeep seinen Familienkombi im Falle des Überbrückens qualvoll töten würde, drei Dänen so taten, als ob sie kein Englisch könnten und mir alle McDonalds-Angestellten erklärt hatten, dass sie mit dem Fahrrad zur Arbeit kämen, rief ich schließlich den ADAC.

Nur 45 Minuten und vier Autos mehr in der Schlange hinter mir, kam der „gelbe Engel“ und der Pannenhelfer brachte nicht nur mein Auto zum Laufen, sondern machte mir gleich auch ein Kaufangebot.

Am Abend, nach einem sehr interessanten Termin mit einem „Du kommst hier ned rein“-Mini-Aussie verließ ich Fehmarn und machte Halt in Kiel, des schleswig-holsteinschen Landeshauptstadt.

Kiel ist so etwas wie das Duisburg des Nordens. Nicht besonders hübsch, teilweise ziemlich abgeranzt, aber irgendwie recht charmant. Und die Kieler an sich verfügen über einen großartigen Humor – anders kann ich mir nicht erklären, dass überall in der Stadt Plakate mit der Aufschrift „Kiel – Sailing City“ hängen und jeder, aber auch jeder Kieler mir versicherte, wie schön es hier sei.

Die Kieler Innenstadt wurde im zweiten Weltkrieg weitestgehend verwüstet und so haben die Stadtväter in den 1950er Jahren wohl entschieden, aus Kiel so etwas wie ein urbanes Labor für architektonische Folter zu errichten.

Sobald man jedoch das Zentrum hinter sich lässt, findet man wirklich schöne Plätze. Ich verlor mich ein bisschen im Gedanken und beschloss mit dem Auto die Gegend zu erkunden – außerdem wollten meine Hunde raus.

So fuhr ich von Ottendorf nach Quarnbek, bis ich schließlich in und dann am Westensee ankam.

Dort konnten meine Hunde genügend Wasser in sich aufsaugen, um das Interieur des Autos nachhaltig zu versauen. Am See entlang ging ich eine Zeit lang durch den Wald, bis ich eine rauchen wollte und feststellte, dass ich meine Zigaretten im Auto hatte liegen lassen. Unmittelbar danach stellte ich fest, dass ich eigentlich alles im Auto hatte liegen lassen. Und das Auto noch mit offenen Türen an einem Straßenrand stand. Scheiß Kopfkino. Der Rückweg zum Jeep gestaltete sich deutlich schneller, ich weiß nicht, ob es der Drang nach einer Zigarette war oder die Sorge um mein Notebook, das für jeden frei zugänglich auf dem Beifahrersitz lag.

Den Vierlitervausechs verriegelt und die Zigaretten eingesteckt, lief ich mit den Viechern durch Westensee und fand ein Haus mit einem Schild „Zu verkaufen“ darauf. Ich schaute mich um, denn ich habe jemanden versprochen, wegzuziehen. Schließlich traf ich auf eine ältere Frau der Sorte „neugierig und frustriert“, die mich sofort darauf aufmerksam machte, dass so viele Hunde hier in der Nachbarschaft bestimmt nicht erwünscht seien.

Ich fand das saukomisch, entschied aber, dass ich ihrem Wunsch nachkommen würde und setzte meine Erkundungstour fort.

Krummwisch ist meiner Meinung nach einer der witzigsten Orte überhaupt, sieht zwar auch nicht anders aus als anderswo, aber der Name ist schon cool.

In Bredenbek wurden wir von einem Hund verfolgt, der und lautkläffend klarmachte, dass wir sowas von gar nicht willkommen sind und in Ostenfeld wurde mir klar, warum es Westensee gibt.

Als es langsam später wurde und ich merkte, dass ich nahezu eine halbe Tankfüllung in den Ether geblasen hatte, nur um mich umzusehen, beschloss ich, mit meinen Hunden noch mal ans Meer zu fahren. Kann ja nicht so weit weg sein.

Eine kurze Irrfahrt über eine malerische Autobahn brachte mich nach Kiel Gaarden – laut Google Maps sollte hier das Meer sein, das was ich vorfand war jedoch eher so eine Art mystischer Ort, an den sich Baumärkte zum Sterben zurückziehen.

Also kehrte ich um und fuhr über Kronshagen und Altenholz an einen Ort, dessen Namen ich vergessen habe.

Langsam dämmerte es und ich fand tatsächlich einen Parkplatz an einem Strand, an dem sich außer mir und meinen Hunden niemand befand.

Ich ließ die Hunde Hunde sein, setzte mich auf einen Stein und musste an Monika denken und wie sie sagte, dass die Insel sich verändert hätte.

Klar, es kommen Häuser hinzu, andere Häuser verschwinden und da wo früher der Tante-Emma-Laden war, in dem wir für 10 Pfennige Süßigkeiten gekauft haben, ist heute ein Ein-Euro-Laden. Doch in Monikas Fall war es das Gefühl, jung und verliebt zu sein, das die Insel mit Hans verlassen hatte und statt Träumen, Zukunft und Freiheit nur Gebäude, Straßen und schlechtes Wetter hinterlassen hatte.

Dort, wo wir früher über unsere Zukunft phantasiert haben, wo wir Fußballprofis, Astronauten, Ballerinas oder Superstars waren, steht heute eine Bushaltestelle und wir sind Sparkassenangestellte, Versicherungskaufleute, Friseurinnen oder Hotelfachfrauen.

Und dort, wo wir früher die große Liebe gefunden und dann verloren haben, finden wir heute heraus, dass das Bein nicht mehr schmerzt.

Einige Zeit später, ich saß im Auto Richtung Süden, stellte ich fest, dass ich etwas suche – ich weiß nicht genau was, aber es findet sich am Meer.

Monika, keep Calm & carry on!

4 Kommentare
  1. Kati W.
    Kati W. sagte:

    Das Schlimme an deinen Geschichten ist….irgendwann sind sie zu Ende.
    Das Schöne an deinen Geschichten ist…. irgendwann schreibst du Neue.

    Liebe Grüße
    Kati

    Antworten
  2. martina
    martina sagte:

    Hallo bin durch Zufall auf dieser Seite, und finde sie urkomisch geschrieben. Habe viel geschmunzelt und mich oft wiedergefunden. Vielen Dank für diesen tollen Blog..

    Antworten
  3. kirsten
    kirsten sagte:

    hallo
    ich bin schleswig holsteinerin und wohne „mittendrin“ nahe des „mittelpunkt schleswig-holsteins“

    und kann vieles nur bestätigen..
    allerdings frage ich mich beim lesen
    wo am westensee kann man hunde laufen lassen und im see baden lassen???
    wir sind immer nur auf verbote gestoßen.

    Antworten

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