Last Christmas I Gave You my Heart

Den Titel habe ich übrigens nur gewählt, um Euch mit einem Ohrwurm ein letztes Mal in diesem Jahr zu ärgern ;-)

2014 neigt sich dem Ende und es ist Weihnachten.

Wie es sich für einen nonkonformistischen Revoluzzer gehört geht mir das natürlich total am Arsch vorbei, weil Weihnachten ja eh eine reine Kommerzveranstaltung ist und ich mit diesem ganzen religiösen Klimbim nichts anfangen kann.

Grund dafür ist bestimmt meine Sozialisation:

Zwar bin ich in einem erzkatholischen Dörfchen aufgewachsen, doch die Tatsache, dass mein Vater katholisch und meine Mutter evangelisch waren, hat den damaligen Pfarrer dazu bewogen, uns Kindern die Taufe zu verweigern.

Also wurden wir evangelisch getauft (weil Taufe musste in den 1970ern sein), doch meine Eltern hatten die Nase voll von dem Verein und ich kann meine Kirchenbesuche, die darauf folgten, an einer Hand abzählen.

Trotzdem haben wir in der Familie natürlich Weihnachten gefeiert, ein Fest in erster Linie geprägt von Essen, verdammt viel Essen, Langeweile beim Warten auf das „Christkind“ und jeder Menge mehr oder weniger unterhaltsamen Fernsehsendungen auf den drei Sendern, die es damals gab.

Das Wohnzimmer schmückte eine alte Krippe, deren Figuren schon bessere Zeiten gesehen hatten. Jedes Jahr musste dem jeweiligen Familienhund wahlweise ein Schaf oder einen der drei Könige aus dem Maul gefischt werden, erst Ernie, später Tiger, dann Charlie und – da war ich schon ausgezogen – Olina.

So fehlten einigen der Figuren Extremitäten, den Esel hätte man im richtigen Leben erlöst, und das Jesuskind hatte eine schwere Bißverletzung davongetragen. Ich kann mich nicht mehr genau an das Jahr erinnern, aber irgendwann war die Krippe verschwunden und den Gang alles vergänglichen gegangen.

Nicht verschwunden dagegen war der Weihnachtsbaum aus Plastik, den mein Vater irgendwann mit der Begründung besorgt hatte, dass sich die Anschaffungskosten schon nach wenigen Jahren amortisiert hätten. Stimmt, denn den Baum gibt’s auch heute noch und nur an wenigen Feiertagen wurde er im Abstellraum gelassen, weil es einen echten gab.

Am Niederrhein aufzuwachsen bedeutet, in größtmöglicher Entfernung zu einer weißen Weihnacht aufzuwachsen, wie man sie aus dem Fernsehen kennt. Meistens war der 24.12. grau und nass. Außer natürlich in dem Jahr, als ich ein BMX-Rad geschenkt bekam. An jenem Heilig Abend war dermaßen viel Schnee gefallen, dass an eine Probefahrt nicht zu denken war.

Im Laufe des Lebens verliert Weihnachten dann den Zauber, den es für Kinder hat und artet in Stress aus.

Irgendwann weichen die großen, bunten Pakete einem schnöden Umschlag mit einem Gut- und später einem Geldschein. Und irgendwann beschließen wir, dass wir uns in der Familie keine Geschenke mehr machen. So auch bei uns.

Also keine für die Menschen. Für die Hunde macht meine Familie gerne eine Ausnahme.

Und so bekommen meine Hunde jedes Jahr zum obligatorischen Weihnachtsbesuch am Niederrhein selbstverständlich ein Geschenk – nämlich einen Karton Bonzo-Leckerchen, Schmackos, Kaustreifen und allem, was das Zoofachgeschäft sonst noch so her gibt.

Ich freue mich derweil über eine „Tupperware“-Schüssel mit Rouladen zum Aufwärmen. Ist ja auch was. Es sei denn, ich passe nicht auf, und die Rouladen fallen auf der Rückfahrt einem der Hunde zum Opfer.

Achja, die Hunde, die sind so etwas wie ein Enkelkindersatz für meine Mutter.

Da sie von meiner Schwester und mir in dieser Hinsicht nicht viel zu erwarten hat, nehmen die Hunde eben die Position derer ein, die es großmütterlich zu verwöhnen gilt, ohne dass man sich um die Konsequenzen zu scheren hat.

Dies wiederum ist mit einer der Gründe, warum ich mir sehr genau überlege, welche meiner Hunde ich mit zum Elternbesuch nehme, denn ein Tag bei der Familie reicht vollkommen aus, um den Erziehungsstand der Viecher auf Pubertätsniveau zurückzuwerfen.

Dabei geht es weniger darum, dass meine Hunde verwöhnt werden, sondern wie.

Als ich mal einen Workshop gab, fiel eine Teilnehmerin in der Mittagspause beinahe vom Glauben ab, weil ich meine Hunde vom Tisch füttere. Ein Stück Pizza hier, eine Scheibe Wurst da – ich finde das witzig und gönne meinen Hund den kleinen Snack zwischendurch.

Allerdings habe ich auch kein Problem damit, das arme bettelnde Tierchen in seiner Hungersnot sitzen zu lassen, wenn mir nicht nach teilen zumute ist.

So liegt die Bettelquote im Normalzustand bei lediglich 16,67 %, aber das ist der Dackel und der Dackel ist kein Hund, wie schon Horst Stern zu berichten wusste.

Anders bei meiner Familie. Wenn er oder sie schon so süß guckt, dann soll er oder sie auch was haben. Und da er oder sie ständig süß guckt, kriegt er oder sie ständig was. Und wenn gerade nichts zu Essen in der Nähe ist, steht man halt auf und holt dem armen Klops ein Häppchen. Denn wer weiß, wann er oder sie jemals wieder so süß gucken wird.

Noch Tage nach einem Besuch gucken meine Hunde völlig bekloppt aus der Wäsche in der Hoffnung, dass ich das süß finde und ich ihnen einen Keks hole.

Die Zeit zwischen den Tagen, wie man sie so schön nennt, ist meist von Ruhe und nur wenigen Terminen geprägt, so dass man in sie gut nutzen kann, um ausführliche, romantische Winterspaziergänge zu machen.

Und so lautet der chiffrierte Facebook-Post: „Heute wieder einen ausführlichen, romantischen Winterspaziergang mit meinem Hunde-Team gemacht“ (15 Leuten gefällt das.)

Dechiffriert bedeutet „Winter“ dieses Jahr, dass man besser in Regenhosen und Gummistiefeln unterwegs ist, will man nicht einen elenden Grippetod sterben, aber das ist ja nicht jedes Jahr so.

„Romantisch“ bedeutet wiederum, dass einem die geliebten Hundies all die kleinen Kleinigkeiten, die man in der hektischen Vorweihnachtszeit mangels Zeit und und Muße hat durchgehen lassen, nun geballt vor die Füße schmeißen.

„Ausführlich“ bedeutet nichts anderes, als dass es unter Umständen eben eine Zeit lang dauert, bis der Hund wieder da ist. Glücklicherweise jagen meine nicht, sind ja Hütehunde und die tun sowas nicht … *hüstel*.

Und Team steht, wie jeder weiß für „Toll, ein anderer machts“. Im Falle des Hunde-Teams, dass der eine das macht, was man dem anderen gerade verboten hat.“

Ein Facebook-Chat:

N: „Hast Du einen Moment Zeit, kann ich Dich anrufen?“
Ich: „Kein Problem, ich warte eh darauf, dass Finchen vom jagen zurückkommt.“
N: „Cool, dann kann ich ja erst noch meine Hunde rauslassen.“
Ich: „Klar, ich kann ja nicht weg.“

Wenn der „sichere Rückruf mittels Markersignal“ auf Grund weihnachtlicher Schmackosverstopfung der Gehörgänge mal wieder in Vergessenheit geraten ist, hilft mir meine längst vergangende Karriere als Sänger einer Punkrockband glücklicherweise auch heute noch, wenn es darum geht, auf Distanz mit meinen Hunden zu kommunizieren.

Das Crowling, so der Fachausdruck für ärgerverheißendes Gebrüll hat noch einen weiteren Vorteil – die Umgebung im Umkreis von ca. 20 Km Luftlinie weiß bescheid, dass Tacker heute nicht so ganz supi auf mein „Hiiiieeeeer, jabbajabba“ reagiert.

Da jetzt wieder alle meckern, dass man doch mit dem geliebten Vierbeiner leise und sanft kommunizieren soll, kann ich Euch versichern, dass der blöde Sauköter so weit weg war, dass mein „Du blöder Sauköter“ mit Sicherheit nur noch ganz leise und sanft zu vernehmen war.

So stehe ich also ganz weihnachtlich gestimmt bei angenehmen 3° Celsius im strömenden Regen knöcheltief im Schlamm, während meine Hunde machen, was sie wollen und denke darüber nach, wie sich mein Leben wohl entwickelt hätte, wenn ich mir – wenn ich schon viele Tiere haben will – Goldfische zugelegt hätte.

Goldfische sind toll, man kann ihnen tolle Tricks beibringen. Ein Schulfreund hatte mal fünf Stück, denen er beigebracht hatte, auf dem Rücken an der Wasseroberfläche zu schwimmen.

Allerdings lebten die haarscharf an der Verhaltensstörung, denn sie waren so in diesen Trick vertieft, dass man es nicht mehr abbrechen konnte. Schließlich haben sie das Körperpflegeverhalten ziemlich vernachlässigt, so dass es nach einiger Zeit ganz schön müffelte in dem Aquarium.

Spaß beiseite, ohne Hunde hätte ich viel verpasst.

Die „Hundeszene“ zum Beispiel.

Und meinen hohen Blutdruck und mein Magengeschwür.

Andererseits sollten wir „Hundemenschen“ uns nicht einbilden, dass es nicht noch schlimmer ginge. Wo wir gerade bei Goldfischen sind, besuch doch mal ein Aquaristikforum. Du wirst auf schlagartig erfreut sein, wie sehr die Diskussionen unter Hundehaltern doch von gegenseitigen Respekt und Rücksichtnahme geprägt sind.

Auch in Häkelforen soll es übrigens heiß her gehen, habe ich neulich erfahren.

Überall da, wo Menschen aufeinandertreffen kommt es auch zu Reibungen. Und da, wo es um so etwas hochemotionales wie Häkeln geht, da schlägt man auch mal über die Stränge.

Das ist menschlich und erstmal nicht weiter schlimm. Hauptsache, das Ergebnis stimmt und der Pulli sitzt.

Wenn nicht, dann sieht’s halt scheiße aus, egal ob es sich um den selbstgeklöppelten Anorak oder um den selbst versauten Hund handelt.

So wie neulich, als eine prominente Kynopädagogin im Regionalfernsehen zeigen durfte, wie man seine Hunde ausschließlich mittels positiver Verstärkung dazu bringt, einen vor der Kamera so richtig dämlich aussehen zu lassen.

Grenzen setzen ist sowas von out und Neunziger Jahre, genau das habe ich gerade letzte Woche meinem Sohn erzählt, als ich ihn in der JVA besucht habe.

Achtung Quotenargument: Dämlich aussehen funktioniert natürlich auch hervorragend mit ausschließlich aversiven Methoden! Der Unterschied liegt allerdings darin, dass es die positive Verstärkung ins Privatfernsehen schafft und die Prügelfraktion nur bis Youtube.

Ich bleibe dabei.

Jeder soll seinen Goldfisch so barfen, wie er es für richtig hält, seine Socken so stricken, wie es ihm passt und seinen Hund so erziehen, wie es ihm gefällt.

Wenn das Ergebnis stimmt, ist doch alles prima, wenn nicht, dann hilft Humor und Selbstreflexion.

Und wenn man keinen Humor hat und auch nicht selbstreflektiv ist, dann finden sich im Internet immer noch genügend Gleichgesinnte, mit denen man zum Clickern oder Klöppeln in den Keller gehen kann.

So ist das in einer freien Gesellschaft.

Empathie heißt das Zauberwort, das uns hilft, Mitgefühl für 17.500 Menschen zu empfinden, die sich von sage und schreibe drei salafistischen Straftätern bedroht fühlen und Forderungen stellen, die beinahe so krude und dämlich sind, wie die Umsetzung des §11 für Hundetrainer.

Gerade jetzt zu Weihnachten sollten wir den Gedanken der Nächstenliebe hegen und nicht nur an uns denken.

So könnte man zum Beispiel einen Troll im Dogs-Forum glücklich machen, in dem man mit ihm eine Diskussion startet. Oder eine Petition, in der man dem Weihnachtsmann verbietet, seine Rentiere mittels Peitsche anzutreiben. Man könnte seinem Hund die Nachbarskatze auch mal gönnen. Das ist doch der Gedanke von Weihnachten.

In diesem Sinne muss ich jetzt mal meine Hunde mit Keksen versorgen, denn die gucken schon wieder süß!

Euch wünsche ich ein friedliches und besinnliches Weihnachtsfest und möchte mich bei allen bedanken, die ich auf den Workshops, Lesungen und im Training kennenlernen durfte, die ich sonstwo kennenlernen durfte, die fleißig kommentiert haben und schließlich ganz besonders Dir – fürs Lesen!

 

10 Kommentare
  1. Caro
    Caro sagte:

    Lieber Normen,

    deine Posts sind herrlich! Sie helfen mir immer wieder das ,,Übel“ der Hundeszene und Hundegesellschaft mit einem Lächeln zu sehen und das hilft durchzuhalten und weiter zu kämpfen.

    In diesem Sinne – frohe Wehnachten!

    Caro

    Antworten
  2. Stef
    Stef sagte:

    Den Dank schick ich umgehend zurück, Normen! Hast mir viele schöne Leseminuten bereitet. Also lass dein Hirnschmalz in 2015 bloß nicht schlappmachen, ich schau hier nämlich extrem gerne und regelmäßig rein!

    Antworten
  3. Danny
    Danny sagte:

    Achja, die Hunde und die Familie…
    Ich danke dir für die immer wieder schönen Leseminuten die ich hier verbringen darf, mal heiter, mal nachdenklich, am meisten allerdings laut lachend.

    Und keine Sorge, auch mein „Verdammtes Mistviech“ kommt nur sanft beim teilzeittauben Empfänger an…

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  4. Birte
    Birte sagte:

    Hey da hab ich doch beim Lesen dieser Zeilen etwas gelernt. Anstatt mich neulich darüber zu ärgern, dass mein Hund im Wald kurzfristig abhandengekommen ist, hätte ich glücklich darüber sein sollen, endlich mal ohne Hast testen zu können wie lange die Batterien meiner Taschenlampe halten. Hatte ja eh gerade Zeit als ich da so rumstand ;)

    In diesem Sinne und LG
    Birte
    (die so froh war WHAM entkommen zu sein und jetzt trotzdem den Ohrwurm nicht mehr aus dem Kopf bekommt o.O)

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